Die Inbesitznahme der kleinen Reichsherrschaft Gimborn-Neustadt durch Napoleon bedeutete trotz der relativ kurzen Dauer von nicht einmal einem Jahrzehnt für Gummersbach eine tiefgreifende Zäsur, mit der dauerhaft die jahrhundertealte traditionale politische Ordnung zwischen Landesherrn und Bauernschaften beendet wurde. Auch der Bereich der kommunalen Verwaltung erfuhr eine völlige Neuordnung nach damals modernen französischen Standards.

Ab 1806 gehörte Gummersbach zum französischen Großherzogtum Berg; die drei Bauernschaften Gummersbach, Bernberg und Rospe wurden zur Mairie (Bürgermeisterei) Gummersbach zusammengelegt, die wiederum zum Kanton Gummersbach gehörte, der mit der ehemaligen Reichsherrschaft Gimborn-Neustadt deckungsgleich war. Ein Teil der bürgerlich-bäuerlichen Oberschicht sympathisierte mit den französischen Besetzern wegen der moderneren Verwaltungsmethoden und der Einführung des Code Civil, während ein anderer Teil die ”Okkupanten” wegen des Verlustes der Selbstverwaltungsrechte ablehnte.

Ansicht des Ortes Gummersbach vom Baumhof aus, gemalt von Henriette Jügel im Jahre 1807; rechts das Haus J.P. Heuser (heute Psych. Beratungsstelle), links davon Haus König (1974 abgerissen).


Aufgrund der hohen Steuern und der ungewohnten Einberufungen zum Militärdienst, der wegen der vielen Kriege Napoleons mit hohen Risiken verbunden war, stieß die französische Herrschaft bei der großen Mehrheit der bäuerlich-handwerklichen Bevölkerung auf immer stärkere Ablehnung, die im Frühjahr 1813 in einer Rebellion - dem sogenannten ”Speckrussenaufstand” - eskalierte. Der Anlass war eine erneute Rekrutenaushebung, die Napoleon aufgrund der großen Verluste während des Rußlandfeldzugs angeordnet hatte. Angriffspunkte der Aufständischen waren auch Häuser von solchen wohlhabenden Gummersbachern, die wie der Maire Georg Heuser eng mit den Franzosen zusammenarbeiteten. Erstmals seit Jahrhunderten existierte im Kirchspiel keine gemeinsame Haltung der verschiedenen sozialen Schichten gegenüber der Obrigkeit. Auch wenn die Rebellion nach einigen Tagen niedergeschlagen wurde, blieb sie auch als neue Form eines politisch-sozialen Protestes tief im Bewusstsein der Einwohner der neuen Bürgermeisterei Gummersbach eingegraben. 

Q: Gummersbach wird französische Mairie (1807)

... Unterdessen war der Krieg mit Frankreich ausgebrochen, das Ländchen kam unter Napo[leonische] Herrschaft, französische Obrigkeit wurde eingesetzt, es war alles anders, doch kümmerte dies abgelegene Ländchen der Krieg anfangs wenig, nur wer die Zeitung las, wusste davon, und die Steuern erinnerten die Menschen an eine neue Gewalt, sie wurden aufgerüttelt endlich aus dem Schlendrian, und da man fürchtete, mit dem Volk nicht fertig zu werden, wurden Vertrauensmänner zu den Ortsvorstehern gewählt, und so machte man den Georg Heuser zum Maire, einige Schöffen ihm zur Seite als Gehülfen und Stellvertreter, auch ein Huisje [Steuereinnehmer] wurde ernannt, ein Gericht neu arrangiert, kurz das Dorf zog ein neues Kleid an, es begann damit ein neuer Lebensabschnitt.

Siegel der Mairie Gummersbach, links aus der Regierungszeit Joachim Murats (1806-08); in der Mitte, nachdem Napoleon selber das Großherzogtum regierte (1808-13).

In der Familie [Heuser] trat dadurch eine kleine Spannung ein, denn der Georg, welcher mit Enthusiasmus den Siegen Napoleons gefolgt war und mit Gier die Zeitung las, harmonierte nicht mit den Ansichten des Daniel und seiner Frau, die, so recht preußisch gesinnt, nur Ärger an der Franzosenherrschaft hatten, ja Frau Louise konnte es nicht lassen, gegen Frau Georg einige beißende Worte zu äußern, doch mussten sie sich fügen, sie schwiegen und hofften auf kommende Zeiten. Der Heinrich König, der sonst so sehr mit dem Daniel harmonierte, schlich doch jeden Morgen mit Neugier ins Comptoir, um die französische Zeitung zu lesen und mit noch Andern das Siegesglück Napoleons zu bewundern; der Daniel aber ging ruhig seinen Geschäften nach, er machte seine Reisen, die oft ein halbes Jahr währten, zu Pferde, schnallte seinen Säbel um, ein paar geladene Pistolen im Halfter, und so trabte er, begleitet von einem tüchtigen Begleiter zu Fuß, in alle Lande, um Geschäfte zu machen, seine Frau führte den Haushalt, der groß war, Knechte, Mägde, Kühe, Pferde, alles, was zur Landwirtschaft gehört, musste besorgt und beaufsichtigt werden, die Kinder wurden dabei nicht vernachlässigt. ...

Aus: Die vier Brüder, in: Ingeborg Wittichen: Oberbergische Malerinnen des 19. Jahrhunderts aus der Familie Jügel / Heuser, hg. vom Museum des Oberbergischen Landes auf Schloss Homburg im Auftrag des Oberbergischen Kreises, Celle o. J. (1980), S. 69 – 82. Der oder die Verfasser/in ist unbekannt, stammt vermutlich aber aus dem Umkreis der Familie Heuser. 

Q: Bericht über den Beginn des Speckrussen-Aufstands 1813

Der Bericht stammt vom Gummersbacher Pfarrer Forstmann, der mit den Franzosen sympathisierte und deshalb die Aufständischen negativ beurteilte. Aufzeichnungen aus der Sicht der Aufständischen sind nicht überliefert.

... Am anderen Morgen (Donnerstag, den 28. Januar) in der Frühe sammelte sich allmählig eine große Schaar von Menschen hier, theils Conscribirte, theils andere Theilnehmende oder Neugierige. Da sie in der Hauptsache nichts mehr zu thun fanden, so ging es zunächst an ein Schmausen und Trinken in den Wirthshäusern und in andern Bürgerhäusern. Als die Köpfe und der Muth in Kraft des Branntweins hinlänglich begeistert waren, ging man zu den gemeinsamen Angelegenheiten über. Ein unschuldiges vergittertes Kästchen, worin die Verfügungen der obrigkeitlichen Behörden so wie die bürgerlichen Aufgebote der Verlobten öffentlich angeheftet zu werden pflegten, um sie gegen Mißhandlungen und Abreißen zu schützen, zog zuerst die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Es wurde unter großem Jubel völlig zertrümmert. Dann wurde das Bureau des Rentmeisters eingenommen, welcher das Stempelpapier verkaufte und die Einregistrirungs-Gebühren zu erheben hatte. Er selbst hatte sich bei Zeiten, da er Wind von der Sache bekam, aus dem Staube gemacht und versteckt; ohne Zweifel zu seinem Glücke, da sonst wohl dem allgemein Verhaßten große Gefahren drohten. Seine Papiere aber, Registraturen, Stempelpapier u.s.w. wurden vernichtet und seine Fenster eingeschlagen.

Was für Heldenthaten übrigens noch an diesem Tage ausgeführt worden sind, weiß ich nicht genau, da ich mich ziemlich eingezogen hielt. Ich war nämlich selbst für meine Person nicht ohne Besorgniß, da Viele mich für einen Franzosenfreund hielten, weil ich, den Grundsätzen des Christenthums gemäß, zur Unterwerfung unter die Obrigkeit, die Gewalt über uns hat öffentlich ermahnte; und weil ich im Kirchen-, Schul- und Armenwesen mich in die neuen Formen zu fügen suchte, um dabei doch meinen etwaigen Einfluß doch so viel möglich, Böses zu verhindern und Gutes zu befördern. Indeß war Gottlob! Noch kein Blut vergossen; außer daß einige Rebeller wohl unter sich in Streit geriethen und einander ein bischen die Köpfe zerschlugen.

Die Hauptpunkte der Beschwerden, die man vorbrachte, waren übrigens, außer der Hauptsache, der Conscription, besonders noch die Personenstands-Register, wodurch die Vollziehung der Heirathen allerdings erschwert, oft unmöglich gemacht wurde; - die Salz- und Tabacksregie, welche die ersten Lebensbedürfnisse im Preise erhöhete und zugleich im Werthe verminderte; - die willkürliche Behandlung der Staatsbürger nach Gesetzen, die niemand kannte und die damit verbundenen Bedrückungen und Erpressungen von untergeordneten Beamten und Dienern, gegen welche kein Recht noch Schutz zu finden war; - das Domainenwesen, welches auf die Moralität des Volks höchst nachtheilig einwirkte, und manchem Schmuggler viel Unheil und Noth, ja selbst den Tod bereitete, - die, ganz unerhörten, ungeheuern Abgaben aller Art, deren Druck man überall und in allen Ständen auf das Schmerzlichste empfand, - die neuen Schulgesetze, deren Zwangsmaßregeln, besonders das unerbittliche Beitreiben der Schulstrafgelder, großen Widerspruch und Widerstand erregte und ein gehässiges Licht selbst auf die völlig unschuldigen Schullehrer warf. Es kamen auch noch Kleinigkeiten dazu; ...

So verging der Tag noch leidlich; der Abend und die Nacht, da doch bei weitem nicht alle wieder nach Haus gegangen waren, wurde in Saus und Braus, unter Saufen, Lärmen, Spielen und Tanzen zugebracht, ohne daß doch bedeutende Exzesse vorfielen. ...

Aus: Nehls, Alfred (Hg.): Der Speckrussenaufstand 1813. Gummersbach am Ende der Napoleonischen Herrschaft, Gummersbach 1988, S. 37 f.

1806Besetzung durch Napoleon und Eingliederung in das Großherzogtum Berg
1807Die Bauernschaften Gummersbach, Rospe und Bernberg werden zur Mairie (Bürgermeisterei) Gummersbach zusammengelegt.
1810Aufstellung der ersten mechanischen Spinn-Maschine
1813Rebellion gegen Napoleon (Speckrussen-Aufstand)

weiter mit Von Napoleon zu Wilhelm I. (1813-1871)